Frau Prof. Hahn-Rigaud, was haben bildgebende Verfahren mit Mathematik zu tun?

13. Oktober 2020 / Fachbereich Mathematik

Porträts am Fachbereich Mathematik der Universität Stuttgart

Bildgebende Verfahren wie z.B. die Computer- oder Magnetresonanztomographie erlauben einen nicht-invasiven Einblick in das Innere eines Körpers. Entsprechend vielfältig sind ihre Einsatzmöglichkeiten: Im medizinischen Bereich werden sie genutzt, um Krankheitsbilder, z.B. Tumore oder Zysten, ohne chirurgischen Eingriff zu diagnostizieren. In der Material- und Werkstoffprüfung können Sie zur Schadensdetektion eingesetzt werden. Zudem lassen sich mit Ihrer Hilfe bestimmte physikalische Prozesse, etwa das Verhalten bewegter Flüssigkeitsfronten in porösen Medien, sichtbar machen.

Um den nicht-invasiven Einblick zu ermöglichen, beruhen bildgebende Verfahren auf der Wechselwirkung des Körpers mit z.B. Röntgenstrahlen oder Magnetfeldern. Dadurch werden Signale erzeugt, die außerhalb des Körpers gemessen werden. Aus den so aufgezeichneten Daten müssen schließlich die Bilder vom Körperinneren berechnet werden.

Genau an dieser Stelle kommt die Mathematik ins Spiel: Ausgehend von einer sorgfältigen Modellierung des zu Grunde liegenden physikalischen Effektes müssen Algorithmen entwickelt werden, welche die gesuchten Bilder effizient, stabil und mit gewünschter Genauigkeit berechnen können.

Was ist hierbei eine besondere Schwierigkeit?

Aus mathematischer Sicht handelt es sich bei dieser Aufgabe um die Lösung eines inversen Problems. Die besondere Schwierigkeit liegt darin, dass solche Probleme in der Regel schlecht gestellt sind: Kleine Messfehler in den Daten können zu großen Fehlern in der Lösung führen – das berechnete Bild wäre also unbrauchbar. Daher müssen die Lösungsverfahren eine Balance zwischen Genauigkeit und Datenfehler sicherstellen. Man spricht in diesem Zusammenhang von Regularisierung.

Was ist der Forschungschwerpunkt am Lehrstuhl?

Moderne Anwendungen führen zu immer komplexeren Modellen und umfangreicheren Datensätzen, aus welchen die gesuchten Informationen extrahiert werden müssen. Diese Problematik betrifft insbesondere dynamische Probleme, bei denen sich die gesuchte Größe während der Datenaufzeichnung verändert. Diese können etwa in der medizinischen Bildgebung aufgrund von Patientenbewegungen, im zerstörungsfreien Prüfen im Zusammenhang mit Strukturveränderungen von Materialien unter Belastungsszenarien oder im Zusammenhang mit den bereits erwähnten bewegten Flüssigkeitsfronten auftreten. Diese Dynamik wird von Standard-Lösungsverfahren nicht berücksichtigt. Ihre Anwendung führt daher zu einer Verringerung der räumlichen oder zeitlich Auflösung bzw. zu Bewegungsartefakten in der Lösung, welche eine zuverlässige Diagnose erheblich beeinträchtigen können.

Unsere Forschungsarbeit am Lehrstuhl für Optimierung und Inverse Probleme ist daher darauf ausgerichtet, eine geeignete Regularisierungstheorie für dynamische inverse Probleme zu entwickeln, welche insbesondere die Modellierung von Bewegungsinformationen, die Formulierung und Analyse des zugrunde liegenden inversen Problems, die Entwicklung effizienter Algorithmen, sowie deren Anwendungen, z.B. in Material- und Werkstoffwissenschaften oder in der Medizin, einschließt.

Was begeistert Sie besonders an der Forschungsarbeit?

An der Entwicklung mathematischer Methoden zur Lösung praxisrelevanter Probleme mitzuwirken und dabei verschiedene Disziplinen zusammenzuführen - das war für mich in der Forschung schon immer ein besonderer Reiz. Heutzutage spielen bildgebende Verfahren in den verschiedensten Bereichen, angefangen von der Medizin bis hin zur Industrie, eine aktive Rolle. Die entsprechenden Technologien werden ständig weiterentwickelt, wodurch sich immer neue Anwendungsfelder und spannende, interdisziplinäre Fragestellungen ergeben.

Dabei bedeutet Forschungsarbeit immer auch Teamarbeit - neben Professoren und Gruppenleitern unterschiedlicher Fachrichtungen sind Doktoranden, Masteranden und auch Mitarbeiter der Verwaltung beteiligt. Gerade die Kommunikation und der Austausch von Ideen untereinander ist es, was unseren Arbeitsalltag so faszinierend und abwechslungsreich gestaltet. 

Vielen Dank für das Interview.

Prof. Bernadette Hahn-Rigaud
Lehrstuhl für Optimierung und Inverse Probleme
Institut für Mathematische Methoden in den Ingenieurwissenschaften, Numerik und Geometrische Modellierung

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